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Aufbruch in eine neue Haltung

Positionspapier »Design und Nachhaltigkeit« des Deutschen Designtags

Beitrag | 30. Januar 2023

Der disruptive Wandel birgt komplexe Probleme in sich, die z.T. nur mit Design gelöst werden können. Der Deutsche Designtag e.V. ist die Dachorganisation der deutschen Design-Einrichtungen. Er veröffentlicht jetzt ein Positionspapier zur Ausrichtung des Designs auf diese Herausforderungen …

Das Forum für Entwerfen ist Gründungsmitglied des Deutschen Designtags.

Status quo
Die Menschheit steht an einem Wendepunkt. Die Gefahr, dass unser Planet bereits in absehbarer Zeit unbewohnbar werden könnte, wurde 2021 nicht zuletzt im Bericht des Weltklimarats mit alarmierender und unhintergehbarer Deutlichkeit unterstrichen. Flut- und Dürrekatastrophen, das Abschmelzen der Polkappen, Hitzewellen, Waldbrände oder die zunehmende Gefährdung des globalen Wasserhaushalts sind eindeutige Vorboten dafür, dass das Klima mit hohem Tempo auf irreversible Kipppunkte zusteuert. Die Flutkatastrophe im Ahrtal, eine Vielzahl von Waldbränden alleine in Deutschland – mit einem auch enormen ökonomischen Schaden – haben die Auswirkungen der Klimakrise vielen Bürgerinnen und Bürgern in neuer Eindringlichkeit bewusst gemacht –und den Bundestagswahlkampf entscheidend geprägt: Rücksichtslosigkeit gegenüber der Umwelt ruiniert Zukunftsfähigkeit! Für ein längerfristiges, auf Evolution statt Revolution angelegtes Handeln bleibt daher keine Zeit mehr. Eine Gesellschaft, die nach wie vor ungezügeltes Wachstum, exzessiven Konsum und übermäßigen Ressourcenverbrauch ins Zentrum des Zusammenlebens stellt, trägt maßgeblich zur Klimakrise bei und verhindert die Erfüllung der von Deutschland mit entwickelten, international verabschiedeten 17 globalen Zielen der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung. Daher sind alle gesellschaftlichen Kräfte und Gruppen – und damit auch das Design – gefordert, unmittelbar zu reagieren und einen Beitrag zu leisten, der eine umfassende Bewusstseinsänderung und ein aktives Gegensteuern ermöglicht.

Lösungsansatz Design
Der Deutsche Designtag (DT) repräsentiert als Dachorganisation der Fach- und Berufsverbände sowie Institutionen des Designs 360.000 Designerinnen und Designer und 60.000 Designunternehmen in allen übergreifenden designpolitischen Angelegenheiten. Er fördert Designverständnis und steht für den Wert, den Design für den Fortschritt von Unternehmen und Organisationen, von Gesellschaft und Kultur leistet.

Mit dieser Stellungnahme positioniert sich der Designtag im Themenfeld Design und Nachhaltigkeit«: Die Gestaltungspotenziale von Design reichen weit über die Gestaltung von Oberflächen und Objekten hinaus. Sie umfassen Arbeits- und Gesellschaftsprozesse ebenso wie die Entwicklung und der Gebrauch neuer, umweltschonender Materialien. Mit diesen Potenzialen kann Design wesentlich dazu beitragen, eine Nachhaltigkeit in der alltäglichen Lebens-und Arbeitspraxis zu verwirklichen, die Sinnerfüllung unterstützt und angemessenen, umweltschonenden Konsum fördert. Und nicht zuletzt ist es die besondere Befähigung von Design, in all seinen Bereichen einschließlich der Architektur, durch Inklusion, durch die Gestaltung von Teilhabe, durch Information und Kommunikation sozialbildnerisch wirksam zu sein. Dadurch ist Design dafür prädestiniert, ein Umdenken und eine Wende in den Konsum- und Lebensgewohnheiten zu befördern und signifikant dazu beizutragen, die Zukunft zu sichern.
Dafür braucht es ein Regierungs- und Unternehmenshandeln, mit dem das ermöglicht und begünstigt wird.

Design in der Verantwortung
Design ist elementarer Bestandteil jeder Wertschöpfungskette. Daraus erwächst Designerinnen und Designern aller Sparten ein hohes Maß an Verantwortung für die Nachhaltigkeit aller Produkte und Prozesse, an denen sie beteiligt sind. Das gilt für den Umgang mit Rohstoffen und deren Verarbeitung, für die Nutzung neuester Erkenntnisse hinsichtlich Recyclierbarkeit oder zur Verlängerung des Produktlebenszyklus genauso wie auch für die Beförderung von Kreislaufwirtschaftssystemen.

Wenn von Verantwortung des Designs die Rede ist, darf nicht verschwiegen werden, dass einige Bereiche des Designs mitverantwortlich für die Exzesse der Konsumgesellschaft waren und dies in Teilen auch heute noch sind. Demgegenüber ist im Design jedoch eine unübersehbare Entwicklung wirksam, welche die Gestaltungspotenziale des Designs im Hinblick auf Nachhaltigkeit nicht nur selbstkritisch hinterfragt, sondern daraus auch neue Handlungsoptionen ableitet. So leistet Design heute in vielen seiner Kompetenzfelder einen unverzichtbaren Beitrag zur Nachhaltigkeit und zur Integration unterschiedlicher gesellschaftlicher Akteurinnen und Akteure sowie Gruppen. Die drohende Klimakatastrophe, gerade auch im Zusammenwirken mit den tiefgreifenden Veränderungen der Arbeitswelt, welche die Digitalisierung mit sich bringen wird, führt heute schon zu einem Wertewandel, bei dem immer mehr Menschen sich nicht mehr über Konsum definieren. Stattdessen sind bereits nachhaltige Lebensweisen und gesellschaftliches Engagement wesentlich stärker in den Fokus gerückt und werden dies in zunehmendem Maße tun. Doch erst das Zusammenspiel von ökologischer, ökonomischer und sozialer Verantwortung ermöglicht es, Nachhaltigkeit in einem umfassenden Sinne zu realisieren.

Dabei vermag es gerade auch die sozialbildnerische Kraft von Design, den Brückenschlag zwischen Ökonomie, Ökologie und Sozialem herzustellen und mit Blick auf die kulturelle Dimension der Nachhaltigkeit dabei zu helfen, Handlungshürden zu überwinden. Es ist eine große Verantwortung, der sich Designerinnen und Designer immer wieder aufs Neue stellen müssen:

Design wird von Menschen für Menschen gemacht. Deren Wohlergehen und das der Umwelt muss über primär wirtschaftlichen Interessen stehen.

Nachhaltigkeitspotenziale im Design
Design macht Innovationen und Produkte zugänglich. Es bietet Teilhabe, bringt Menschen zueinander, informiert und ist ein relevanter Faktor bei gesellschaftlichen Veränderungsprozessen und deren Vermittlung.

Design ist in hohem Maße interdisziplinär und daher als führende Disziplin prädestiniert, neue Entwicklungen umfassend voranzutreiben und ihre Auswirkungen auf Mensch, Gesellschaft und Umwelt mitzudenken! Und dabei alle Menschen, gleich welcher Herkunft, welchen Geschlechts, Alters, Bildungsstands und sozialen Status mitzunehmen.

Design trägt so wesentlich dazu bei, eine Lebenskultur zu fördern, die zur Verinnerlichung der Nachhaltigkeitsidee führt und neue Handlungsoptionen eröffnet.

Ein Großteil der Umweltauswirkungen von Produkten und Dienstleistungen wird bereits in der Entwicklungs- und Gestaltungsphase festgelegt. Eine frühzeitige Einbindung von Designerinnen und Designern bei der Entwicklung eines neuen Produktes oder einer Dienstleistung ist daher unerlässlich, um ihre Kompetenz im Sinne der Nachhaltigkeit ausschöpfen zu können. So ist etwa die Kompetenz von Designerinnen und Designern wesentlich, Rohstoffe, Materialien und deren Verarbeitung im Hinblick auf ihre Tauglichkeit für nachhaltige Produkte sowie deren Nutzung zu bewerten.

Wirtschaft und Nachhaltigkeit sind keine Gegensätze, sie befruchten sich gegenseitig. Design kann der Katalysator dieser positiven Wechselwirkung sein.

Nachhaltiges Design kann entscheidend dazu beitragen, die grundsätzliche Ausrichtung von Unternehmen und Organisationen genauso wie das Portfolio nachhaltig zu entwickeln und/oder zu verändern. Dies erfordert allerdings ganz grundsätzlich die Bereitschaft zu einer umfassenden und langfristigen Zusammenarbeit.

Designverständnis und Partizipation
Co-Kreation und Reallabore schaffen Zukunftsperspektiven, die an Bedeutung gewinnen. Eine zukunftsfähige Gesellschaft strebt nach aktiver Teilhabe an politischen, sozialen und jeglichen transformativen Prozessen, die das Leben und die Lebensqualität der Menschen gerade auch im Hinblick auf Nachhaltigkeit beeinflussen.

Partizipative Designprozesse beteiligen die Öffentlichkeit und erhöhen damit signifikant die Identifikation mit notwendigen Transformationen. Sie tragen zu einem breiteren Designverständnis bei und eröffnen zugleich einen vertieften Einblick in die Bedürfnisse der Menschen.

Um solche Prozesse noch fruchtbarer zu gestalten, ist es unabdingbar, auch eine neue Fehlerkultur zu entwickeln. Dazu bedarf es eines Paradigmenwechsels: Zum Beispiel ist positive Fehlerkultur ein Entwicklungsfaktor und kein Stoppschild.

Forderungen
Um die gesellschafts- und zukunftsrelevanten Potenziale von Design gerade auch im Hinblick auf Nachhaltigkeit ausschöpfen zu können, ist nicht nur ein verändertes Designbewusstsein in Unternehmen, der Öffentlichkeit und der Politik vonnöten. Es gilt auch, eine Reihe von notwendigen Maßnahmen umzusetzen:

  1. In den von der Bundesregierung 2001 eingesetzten Rat für Nachhaltige Entwicklung sollte kurzfristig auch eine Vertreterin oder ein Vertreter mit Designhintergrund berufen werden.
  2. Die Bundesregierung sollte mittelfristig eine Designbeauftragte oder einen Designbeauftragten für Nachhaltigkeit ernennen, um die lösungsorientierte Designperspektive in das Regierungshandeln systematisch zu integrieren.
  3. Die Erfordernisse der Kreislaufwirtschaft und die Verwendung nachhaltiger Materialien einschließlich nachhaltiger Materialbeschaffung, Transport und Entsorgung müssen gesetzlich und transparent geregelt und nachverfolgt werden können.
  4. Nachhaltige Innovationen und Businessmodelle, die eine designgetriebene Perspektive beinhalten, müssen künftig stärker von staatlicher Förderung profitieren können.
  5. Normen und Standards wie zum Beispiel bei der Gestaltung von Produkten und Bauten jeglicher Art, müssen systematisch unter dem Aspekt Nachhaltigkeit hinterfragt und neu gefasst werden.
  6. Bei öffentlichen Ausschreibungen müssen zukünftig die nachhaltigen Perspektiven explizit formuliert und in den Vordergrund gestellt werden. Zudem sollte grundsätzlich ein interdisziplinärer und prozessorientierter Arbeitsansatz ermöglicht werden – nur so können die Leistungspartnerinnen und Leistungspartner aus dem Design zu einer nachhaltigen Ausgestaltung der Aufgabenstellung umfassend beitragen. Darüber hinaus müssen in die Formulierung fairer Designausschreibungen, wie der Designtag sie in seinem Praxisleitfaden
    » Designaufträge erfolgreich vergeben« formuliert hat, Expertinnen und Experten der Branche einbezogen werden – genauso wie in die Bewertung der eingereichten Ergebnisse.
  7. Um Zukunft co-kreativ zu gestalten, müssen Reallabore auf Bundes-, Landes- und Regionalebene gefördert und systematisch etabliert werden. In ihnen sollen Produkte genauso wie geänderte Lebens- und Verhaltensweisen, Mobilitäts- und Konsumwege interdisziplinär und
    co-kreativ verstärkt erprobt, systematisch verbessert und befördert werden.
  8. Es müssen Ausbildungsprogramme unterstützt und gefördert werden, bei denen die besonderen Kompetenzen des Designs bei Interdisziplinarität, dem offenen Umgang mit No-tech- und Low-tech-Lösungen, der Berücksichtigung regionaler und lokaler Traditionen und der Offenheit für innovative Lösungen im Hinblick auf Ausbildung und Berufspraxis,
    Up-Skilling und Umschulung wirksam eingebracht werden können. Denn Design Skills sind Future Skills, wie der Designtag in seinem Papier zu einer zukunftsorientierten Bildungsperspektive formuliert hat.

Auch wenn die Designausbildung natürlich Aufgabe der Länder bzw. der einzelnen Universitäten und Hochschulen ist, bedarf es auch einer Überprüfung bestehender Curricula hinsichtlich der Förderung des Bewusstseins der Studierenden für Nachhaltigkeit.
Darüber hinaus sollte Design in all seinen Erscheinungsformen und Lösungsmöglichkeiten auch als Teil von Schule oder zumindest als unterrichtsbegleitendes Angebot etabliert werden, um die Potenziale des Designs für eine nach nachhaltigen Kriterien gestaltete Zukunft bereits jungen Menschen nahezubringen.


Deutscher Designtag e.V.